Wir fahren mit der Transsib die ersten 5.200 km Richtung Osten bis nach Irkutsk! Nach etwa einem Drittel der Strecke erreichen wir Asien!
Endlich geht es los! Ich habe schon so lange davon geträumt, mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland zu fahren. Es fasziniert mich, innerhalb von einer Woche gefühlt um die halbe Welt zu reisen. Auch Thomas freut sich auf die Fahrt, ist aber noch unsicher, ob ihm die drei Tage und vier Nächte im Zug während der ersten Etappe nicht zu lang werden. Wir sind jedenfalls beide aufgeregt, was uns erwarten wird und wie uns die Fahrt gefällt.
Vorab gesagt: Es gibt nicht die Transsibirische Eisenbahn, die Moskau und Wladiwostok verbindet. Es gibt unterschiedliche Züge und insbesondere zwischen Moskau und Jekaterinburg (Ekaterinburg) verschiedene Streckenführungen. Die ursprüngliche Strecke führt kurz vor Omsk ein Stück durch Kasachstan. Diese Strecke wählen wir jedoch nicht, da wir ansonsten ein zusätzliches Visum bräuchten und auch nur sehr wenige Züge überhaupt noch dort entlang fahren. Die neue Strecke, auf der wir unterwegs sind, führt von Moskau über Wladimir, Nischni Nowgorod (Niznij Novgorod) und Kirow nach Jekaterinburg und dann weiter auf der klassischen Route über Omsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk nach Irkutsk. Auf dieser Strecke verkehren die Regelzüge Nummer 1 in Richtung Westen und Nummer 2 in Richtung Osten.
Vor der Abfahrt des Zuges am Jaroslawler Bahnhof in Moskau haben wir noch etwas mehr als eine halbe Stunde Zeit. Gespannt blicken wir immer wieder auf die Anzeigetafel, um zu erfahren von welchem Gleis unser Zug abfährt. Sobald uns diese Information angezeigt wird, laufen wir los. Falls sich unser Abteil wieder am Ende des Zuges befindet, müssen wir noch ein gutes Stück über den Bahnsteig laufen. Da wir die dritte Klasse gebucht haben, ist das nicht unwahrscheinlich.
Als wir das Bahnhofsgebäude verlassen, fängt es gerade an zu schneien. Wie kitschig… Wir freuen uns aber!
Bevor wir in den Waggon einsteigen können, kontrolliert die Zugbegleiterin unsere Pässe. Das gestaltet sich schwierig, da sie unsere Namen im Pass nicht lesen kann und sich von uns auch nicht helfen lässt. Ich möchte ihr unsere Namen in kyrillischen Schriftzeichen zeigen, da sie so auf unserem Visum stehen. Doch ich darf den Pass, den sie nun in der Hand hält, nicht berühren. Dieser Vorgang hält alles auf. Wir wollen es uns mit ihr nicht verscherzen, da sie in den kommenden Tagen über die Atmosphäre im Zug entscheiden wird. Die Provodniza sind zuständig für die Sicherheit und Sauberkeit im Zug und kümmern sich um die Versorgung der Passagiere. Es kommt eine andere Zugbegleiterin zur Hilfe und gemeinsam finden wir unsere Namen auf Ihrer Liste. Wir dürfen einsteigen.
Im Zug ist es schön warm. Der Großraumliegewagen mit 54 Betten ist in Sechserabteile unterteilt. Diese haben jeweils eine Zwischenwand, sodass man die anderen Fahrgäste außerhalb des eigenen Abteils fast gar nicht wahrnimmt. Das überrascht mich. Ich dachte, dass der Liegewagen komplett offen wäre.
Der Fahrkartenkauf ist entgegen der im Internet noch immer kursierenden Gerüchte überhaupt kein Problem. Auf der Internetseite der russischen Eisenbahngesellschaft rzd kann 45 Tage vor Abfahrt des jeweiligen Zuges ein Ticket gekauft werden. Sogar der Waggon und das gewünschte Bett können aus einem übersichtlichen Lageplan ausgewählt werden. Danach registriert man sich entweder online, um mit einem E-Ticket zu reisen oder man hat sein Ticket digital auf dem Handy dabei. Kontrolliert werden eigentlich so oder so nur die Reisepässe.
Thomas und ich haben uns einen Platz in der Nähe des Samowars und weit weg von den Toiletten ausgesucht. Dies war im Nachhinein eine gute Entscheidung und wir würden es jederzeit wieder so machen. Außerdem haben wir ein oberes und ein unteres Bett ausgewählt, damit wir nicht „durch fremde Betten“ klettern müssen. Auch das war eine gute Entscheidung. So können wir uns tagsüber zusammen auf das untere Bett an den Tisch setzen. Wenn ihr die Plätze am Gang aussucht (auf dem Foto oben rechts zu sehen), müsst ihr beachten, dass das untere Bett tagsüber zu einem Tisch mit zwei Sitzen umgeklappt wird. Diese werden dann von den beiden Gästen der Gang-Plätze zusammen benutzt.
In unserem „Sechserabteil“ sind die anderen vier Betten schon belegt als wir einsteigen. Am Gang haben zwei Jugendliche im Schlafanzug schon ihre Betten bezogen. Da der Zug in Moskau startet, müssen sie wirklich schnell gewesen sein. Das ist wohl nicht ihre erste Fahrt, denke ich. Die Bettwäsche muss übrigens extra bezahlt werden. Entweder man bucht diese direkt online, zusammen mit der Fahrkarte, oder man zahlt diese separat im Zug.
Gegenüber von uns sitzen zwei Frauen aus Kirow, mit denen wir uns in den nächsten Stunden unterhalten. Dies ist uns möglich, da die jüngere der beiden Frauen Englisch spricht. Sie wohnt und studiert gerade in Rom und fährt für einen Arztbesuch nach Hause. Wir bekommen Schokolade aus Russland geschenkt.
Kurz nach der Abfahrt des Zuges sehen wir, wie der Samowar gegenüber vom Dienstabteil angefeuert wird. Zwar ist mittlerweile die komplette Strecke der Transsib elektrifiziert, aber der Samowar und die Heizung in jedem Waggon werden noch immer mit Kohle betrieben. In unserem Fall wird der Kohle noch allerhand Verpackungsmaterial von Schokoriegeln und sonstiger Müll untergemischt. Das Wasser erreicht jedenfalls schnell die dann dauerhaft gehaltenen 100° C und steht uns auf der kommenden Fahrt rund um die Uhr zur Verfügung. Solltet ihr auch einmal mit der Transsib fahren wollen, nehmt also auf jeden Fall einen Becher, eine Tasse o.ä. und Besteck mit.
Einige Kilometer hinter Moskau sehen wir ein riesiges Licht. Es sieht eher aus wie ein Sonnenaufgang, ist leuchtend gelb-orange und erscheint wie ein Halbkreis am gesamten Horizont. Wir wundern uns, was das ist, weil wir in dieser Gegend keine Städte verorten können. Kurz darauf ist es wieder dunkel.
Im Folgenden ist es interessant zu sehen, wie sich die Fahrgäste im Zug einrichten. Alle haben ein zweites „Zug-Outfit“ dabei. Dieses besteht zumeist aus einer Jogginghose oder auch einer kurzen Hose, einem bequemen Oberteil und Hausschuhen. Die zweite, etwas ältere Frau, die uns gegenüber sitzt, war mit einem schicken Wollkleid, Fellmantel und Fellstiefeln, feinem Halstuch und Anstecknadel, jeder Menge Gold- und Glitzerschmuck und aufwendig gesteckten Haaren eingestiegen. Binnen weniger Minuten hat sie alles gegen eine ausgeleierte Leggings und ein Schlafshirt getauscht und ist kaum wiederzuerkennen. Sie legt sich bald schlafen und Thomas macht es ihr nach und klettert nach oben.
Ich unterhalte mich noch etwas mit der Studentin aus Kirow. Sie kann überhaupt nicht verstehen, warum man freiwillig mit der Transsibirischen Eisenbahn fährt, dann auch noch die ganze Strecke von Moskau bis nach Wladiwostok und dass es sogar eigene Reiseführer nur für diese Zugfahrt gibt. Sie fotografiert unser Transsib-Buch lachend.
Da ich müde bin, schlafe auch ich dann schnell ein – begleitet vom rhythmischen Wackeln und Rattern der Schienen.
Am nächsten Morgen wache ich erholt auf. Die Matratze ist mit Abstand die beste unserer bisherigen Reise! Die Temperaturanzeige, die meist zwischen 26 und 28°C anzeigt, entspricht nicht ganz der Realität im Zug. Am Boden beträgt die Temperatur mindestens 5°C weniger und durch die Wände des Waggons zieht kalte Außenluft rein – die nachts gerne um die -20°C beträgt. Die Mischung ist dann aber insgesamt angenehm. Wir haben unser erstes Frühstück in der Transsib. Es ist super, dass wir ständig heißes Wasser haben, so gibt es auch Kaffee zum Essen.
Gegen Mittag erreichen wir die Stadt Kirow und der Zug wird sehr leer. So sind wir für mindestens eine Station alleine in unsem Sechserabteil – das sind erstmal die nächsten fünf Stunden…
Die Landschaft ändert sich ständig. Die in Deutschland oft gehörte Frage „Fährt man da nicht tagelang durch Birkenwälder?“ können wir auf jeden Fall mit einem klaren „Nein!“ beantworten. Sehr oft fahren wir an mehr oder weniger großen Dörfern vorbei. Sobald es mehr als nur ein paar Holzhäuser sind, ist oft auch eine – meist etwas zu groß wirkende – Kirche mit goldenen Zwiebeltürmen zu sehen. Ansonsten wechseln sich Laub- und Nadelwälder mit Hügellandschaften und schneebedeckten Weiten ab. Wir verbringen gerne unsere Zeit damit, aus dem Fenster zu gucken und sind neugierig, was es alles zu entdecken gibt.
Während der Fahrt verlieren wir das Gefühl für die Zeit. Im Zug wird die Moskauer Zeit angezeigt, da alle Züge in Russland nach dieser Zeit fahren. Die jeweils lokale Zeit versuchen wir anhand des Fahrplans gegenüber des Samowars nachzuvollziehen. Dort sind auch die Grenzen der Zeitzonen vermerkt.
Aber eigentlich ist es auch egal, wie spät es ist. Entscheidend ist dies nur, um herauszufinden, wann wir das nächste Mal anhalten. Die pompösen Bahnhöfe, die Händler am Bahnsteig und die frische Luft wollen wir uns nicht entgehen lassen. Außerdem herrscht an jedem Bahnsteig eine ganz eigene Atmosphäre – kein Wunder, denn die Stationen liegen meist mehrere Hundert Kilometer auseinander. Wenn wir an einem Bahnsteig anhalten, können wir oft auf das Dorf oder die Stadt blicken, können sehen, wie die Menschen leben und auf dem Bahnsteig haben wir einen ganz kurzen Einblick in deren Alltag. Ich bin jedes Mal neugierig, was uns erwartet.
Für mich ist es schwierig zu realisieren, wie lange wir noch nach Irkutsk unterwegs sind. Die Entfernungen sind einfach nicht vorstellbar. Wir sind schon eine ganze Weile im Zug unterwegs, haben sogar schon im Zug übernachtet und trotzdem erwarten uns noch drei weitere Nächte bis zu unserer Ankunft in Irkutsk. Diese Fahrt hat den Namen Reise wirklich verdient, denke ich. Es geht nicht darum, in möglichst kurzer Zeit von A nach B zu kommen. Dann hätten wir auch fliegen können. Es geht darum, unterwegs zu sein – zu reisen… Ich genieße es!
Am Nachmittag halten wir für eine knappe halbe Stunde in der kleinen Siedlung Balesino. Wir nutzen die Zeit, um etwas über den Bahnsteig zu laufen und unsere Essensvorräte aufzufüllen.
Im Zug ist es insgesamt sehr sauber. Die Provodniza putzen ständig – nach jedem Halt wird der Boden gewischt, um die Schnee- und Matschreste zu beseitigen, die die Passagiere mit hereingetragen haben. Die Toiletten werden tagsüber stündlich geputzt. Es ist nichts zu beanstanden. Auch unser Toilettenpapier hätten wir nicht mitbringen müssen…
Außerdem läuft den ganzen Tag über die Polizei durch den kompletten Zug, immer hin und her. Einmal am Tag wird jeder Fahrgast befragt, ob alles in Ordnung ist oder ob ihm etwas aufgefallen sei. Naja, fast jeder Fahrgast… Da wir kein Russisch sprechen, werden wir ausgespart. Wir nicken und lachen freundlich, als Zeichen, dass alles in Ordnung ist.
Bis zum Abend steigen keine weiteren Mitreisenden in unser Abteil ein. So können wir die unteren beiden Betten als Sitzmöglichkeit nutzen, um beim Essen gegenüber am Tisch zu sitzen und gemeinsam aus dem Fenster zu gucken. Der Sonnenuntergang ist wunderschön!
Wir wachen in Asien auf! In der Nacht haben wir kurz vor Jekatarinburg die Grenze zwischen Europa und Asien passiert. Nach weiteren 600 km sind wir am frühen Morgen außerdem in Sibirien angekommen!
Gerade als ich aufwache, klettert eine der Angestellten in ihrem Blümchen-Kittel von dem oberen Bett gegenüber von mir und sucht im Halbdunklen ihre Fell-Schlappen. Ich muss grinsen (und noch mehr als ich mir vorstelle, das wäre zu Hause bei der DB auch so). Auch die Angestellten laufen hier im Schlafanzug durch das Abteil. Sie schlafen teilweise im Dienstabteil und teilweise mit den Fahrgästen im Großraumliegewagen.
Auch Thomas klettert von seinem Bett herunter und wir bereiten uns ein Frühstück aus frischen Äpfeln, Haferflocken und heißem Wasser zu. Dazu gibt es Kaffee und eine super schöne Aussicht auf den Sonnenaufgang! Perfekt!
Wir fahren immer wieder an großen, pompösen Bahnhofsgebäuden vorbei. Die meisten sehen wir aber nur im Vorbeifahren. Ansonsten gibt es heute tatsächlich so einige Birken zu sehen: Mal mit Schnee, mal ohne Schnee, im Wald, vereinzelt vor einem Dorf, … Gegen Mittag halten wir in Ischim und am Nachmittag haben wir in Omsk etwa 15 Minuten Aufenthalt. Wir schaffen es, einen kurzen Blick in die wunderschöne Wartehalle des Bahnhofs zu werfen.
Zurück im Zug bemerken wir, dass das untere Bett gegenüber von mir von einem neu zugestiegenen Fahrgast belegt ist. Als er mit einem Teeglas vom Samowar zurückkommt und sich setzt, grüßen wir ihn auf russisch. Er guckt uns nur an und sagt nichts. „Toll“, denke ich, „das ist ja eine wortkarge Begleitung für uns.“ Doch nach ein paar Minuten fragt er uns plötzlich, woher wir kommen. Als er erfährt, dass wir aus Deutschland sind, versucht er sich an sein Schuldeutsch zu erinnern und sagt uns alles auf, was er noch weiß, von einzelnen Wörtern bis zu ganzen Gedichten „es ist so kalt, so bitterkalt…“. Zwischendurch lacht er immer wieder. Dann möchte er sich wohl intensiver mit uns austauschen und startet eine Übersetzungs-App auf seinem Handy. Diese funktioniert allerdings nur mittelmäßig gut. Zum Beispiel kommen Ratschläge wie „Essen sie da, wo das Internet hängt“ dabei heraus. Wir sind ratlos! Danach möchte er uns seinen Beruf erklären. Er hält uns den übersetzen Satz auf seinem Handy-Display hin und wir lesen verwundert, dass er als Kite-Surf Trainer arbeitet… !? Später stellt sich ohne die App, mit Händen und Füßen und Wortfetzen in unterschiedlichen Sprachen heraus, dass er Maschinenbauingenieur ist… Na gut. Das passt eher. Er fährt zum Arbeiten nach Sibirien. Noch immer mangelt es dort an Arbeitskräften und die Regierung zahlt hohe Zuschläge für diejenigen, die sich bereit erklären, zum Arbeiten dorthin zu fahren. Zum Abschied schenkt er uns Halva mit Schokolade aus seiner Heimatstadt. Wir freuen uns über die nette und lustige Begegnung.
Am Abend wollen wir den Speisewagen testen, da wir so viel Positives von dem an Bord frisch gekochtem Essen gehört haben. Dieser ist meist wenig besucht, da die meisten Passagiere der dritten Klasse sich das Essen für die Zugfahrt selber mitbringen und die Gäste der ersten und zweiten Klasse auch in den Abteilen am Platz bedient werden. Unser Fazit des Besuchs fällt kurz und knapp aus: Das Essen war OK, aber viel zu teuer! Wir werden uns weiter mit unseren Vorräten selbst verpflegen und zwischendurch die frisch zubereiteten Speisen der Einheimischen an den Bahnsteigen probieren. Aber der Chef des „Restaurant“, wie der Waggon heißt, ist sehr nett.
In Barabinsk, dem nächsten Halt, steigen bei -14° C drei andere Passagiere in unser Abteil ein. Sie scheinen sich untereinander nicht zu kennen. Nach einer Zeit fangen die zwei Reisenden auf den Gangplätzen an, ein Kartenspiel zu spielen und „fragen“ uns bald (mit einer einladenden Geste), ob wir mitspielen wollen. Mmmh, eigentlich schon. Wenn wir nur wüssten, was sie überhaupt spielen… Erstmal gucken wir ein paar Runden zu, weil wir uns die Regeln überhaupt nicht erschließen können. Irgendwann bekommen auch wir Karten ausgeteilt und wissen eigentlich gar nicht, was zu tun ist. Immer wenn wir denken wir haben es jetzt verstanden, legt jemand eine Karte, die so gar nicht zu unserem Spielverständnis passt. Die anderen finden es lustig und wir haben jedenfalls unseren Spaß. Es wird viel gelacht!
Ein Mann aus dem Nachbarabteil merkt, dass wir Hilfe gebrauchen können und setzt sich hinter uns, um in unser Blatt gucken zu können. Immer wenn wir eine Karte spielen können, tippt er diese an. Ein paar Mal sind wir die ersten in der Runde, die keine Karten mehr auf der Hand haben, sind uns aber auch nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist… Vielleicht haben wir auch gewonnen !? (Mittlerweile wissen wir, dass das Spiel Durak heißt und es unzählige Varianten davon gibt, die selbst die Einheimischen nicht alle kennen. Und ja, wer als erster keine Karten mehr hat, hat gewonnen.)
So kommt es auf jeden Fall, dass wir um halb zwei nachts noch wach sind und uns den Bahnhof von Novosibirsk angucken können.
Als wir schlafen wollen, packt der Initiator des Kartenspiels seinen Laptop aus und stellt diesen auf den Tisch vor meinem Bett, in dem ich schon liege und die Augen zu habe. Als er die Lautsprecherbox 10cm neben mein Ohr auf den Tisch stellt und ich mich erschrecke, beschließen sie netterweise, die Box ein bisschen weiter wegzustellen. Die anderen gucken dann einen russischen Kriegsfilm, zwischendurch hören wir deutsche Stimmen. Ich mag nicht zusehen und versuche unter der Beschallung zu schlafen.
Es war auf jeden Fall ein schöner, lustiger und interessanter Tag in der Transsib!
Als ich am nächsten Morgen aufwache, werde ich mit einem freundlichen „dobroye utro“ von dem Bett vor mir aus begrüßt und angestrahlt. Das freut mich sehr, ich wünsche auch einen guten Morgen auf russisch. Ich gucke sofort aus dem Fenster und bin gespannt, wie es draußen aussieht. Jeden Morgen wachen wir auf und die Landschaft ist ganz anders als beim Einschlafen.
Der Computer wird schnell wieder auf unserem Tisch aufgebaut und es laufen russische Serien. Bald steigt der Laptopbesitzer jedoch aus und es wird wieder ruhig in unserem Abteil.
Wir freuen uns auf die Mittagspause in Krasnojarsk und haben 20 Minuten Zeit, die frische Luft zu genießen. Auch die Hunde an Bord freuen sich und spielen draußen im Schnee. An jedem Stop wird außerdem der Zug untersucht, ob irgendwelche Bauteile eingefroren sind und die Bremsen an jedem Waggon werden mit heißem Wasser enteist. Für Letzteres sind die Zugbegleiter des jeweiligen Waggons zuständig.
Kurz hinter der Haltestelle überqueren wir auf einer einen Kilometer langen Brücke den Jenissei. Dies ist einer der längsten Flüsse der Welt und – wie wir gehört haben – der wasserreichste Fluss auf unserem Planeten. Im Winter ist er normalerweise mehrere Monate von einer Eisschicht bedeckt. Da es dieses Jahr überdurchschnittlich warm ist, sehen wir hingegen nur einige Eisschollen. Hinter Krasnojarsk ändert sich die Landschaft und weite Ebenen tun sich auf.
Nachmittags sehen wir an der Haltestelle Ilanskaya zum ersten Mal, dass eine Frau am Bahnsteig Omul verkauft. Das ist ein Fisch aus dem Baikalsee, den es nur dort und in den angrenzenden Gewässern gibt. Für viele Menschen in der Region stellt er eine wichtige Lebensgrundlage dar.
Wir wollen für die Zugfahrt aber keinen Fisch kaufen und gucken, was es an dem Stand sonst noch gibt. Wir entscheiden uns für Blini (Pfannkuchen) mit gesüßtem Käse und Waffeln mit Karamell zum Nachtisch. Zurück im Zug merke ich sofort, dass meine Haare nach geräuchertem Omul riechen. Oh nein! Das darf doch nicht wahr sein! Der Geruch ist sehr intensiv und penetrant. Auch unser Essen hat den Geschmack nach geräuchertem Fisch angenommen. Ich ahne noch nicht, dass dies nicht das letzte Mal gewesen sein wird…
Kurz vor Mitternacht haben wir die Hälfte der Strecke von Moskau nach Wladiwostok hinter uns. Seit Moskau haben wir schon viermal die Uhren vorstellen müssen und sind jetzt in der fünften Zeitzone. Ich tue mir schwer dies zu realisieren. Es ist ein komisches Gefühl, da wir keinen Jetlag haben. Irgendwie reisen wir mit der Zeit … es ist schwer zu beschreiben.
Wir machen uns bettfertig und legen uns schlafen. Nach drei Nächten in der Transsib haben wir eine Routine für den Zugalltag entwickelt. Wir wissen in welchem Gepäckfach welche unserer Sachen verteilt sind und jeder Handgriff sitzt. Wir finden es schade, dass es unsere vorerst letzte Nacht in der Transsib ist.
Am nächsten Morgen kommen wir um kurz vor sieben in Irkutsk an. Vollbepackt steigen wir bei -19°C aus. Am Bahnsteig können wir jedoch kaum atmen, weil die Luft total verrußt und beißend ist. Wir wollen gleich weiterfahren an den Baikalsee und müssen noch ein ganzes Stück durch die Stadt.
Wie es weiter geht, könnt ihr hier lesen. Die Fahrt mit der Transsib hätte für uns beide gerne noch länger dauern können. Es war sehr interessant und abwechlungsreich und kein bisschen eintönig.
Habt ihr jetzt auch Lust auf eine Zugfahrt durch Russland? Viele Grüße Jenny
Ganz tolle Bericht, und Super geschrieben.
Das freut uns riesig! Vielen Dank!
Super geschrieben, was für ein Erlebnis und so viele tolle Menschen, die ihr kennen gelernt habt. Und die Landschaft ist traumhaft. Freu mich schon auf den nächsten Bericht😊
Danke für das fleißige Lesen und deinen Kommentar! Ja, so herzliche Menschen. Das war toll!
Kein klischeehaftes Wodka-Gelage beim Kartenspiel?
Nein, nur Tee… Aber die Zugbegleiterinnen achten wohl auch darauf und schmeißen Betrunkene an der nächsten Station raus.
Ich finde es höchst spannend und interessant. Aber für mich ist das nichts.
Ja, es war wirklich interessant und sehr schön. Wir würden auch nochmal mit der Transsib fahren!