Unsere Zeit in Tschita ist geprägt von einem tollen Ausflug in die sibirische Taiga. In Tschita selbst begeistern uns die zahlreichen Holzhäuser und der buddhistische Tempel. Außerdem lernen wir die Geschichte der Dekabristen näher kennen.
Tschita ist die Hauptstadt der Region Transbaikalien und nach Irkutsk unser zweiter längerer Aufenthalt in Sibirien. Nach den tollen Tagen in Listwjanka am Baikalsee möchten wir diesmal ins sibirische Nirgendwo und haben uns dafür Bagdarin ausgesucht. Warum die Auswahl auf Bagdarin fiel und was wir dort erlebt haben, könnt ihr hier lesen.
Aber der Reihe nach: Mit der Transsibirischen Eisenbahn kommen wir mitten in der Nacht in Tschita an. Schnell geht es durch die verrußte Luft zu unserem Hostel, da wir müde sind und ins Bett möchten. Wir beziehen unser Doppelzimmer im Hostel. Es ist grün, zweckmäßig und die Matratzen sind (um es positiv auszudrücken) sehr weich. Auch ist es warm und stickig in unserem Raum, denn die Heizung läuft auf Hochtouren und lässt sich nicht runterdrehen. Ich klettere über das Bett auf die Fensterbank, um ein bisschen kalte Luft reinzulassen. Uns schlägt jedoch sofort wieder der beißende Ruß entgegen. Läuft! Was für ein gelungener Auftakt in Tschita… Gute Nacht!
Am nächsten Morgen sieht alles schon wieder besser aus. Zwar wird uns gesagt, dass wir nicht lüften dürfen, da doch die Pflanzen wegen der kalten Temperaturen angeblich kaputtgehen. Naja, ob sie sich bei stickiger Heizungsluft ohne Sauerstoff wohler fühlen??? Wir lüften natürlich trotzdem… Außerdem nutzen wir die gut ausgestattete Küche und das Wohnzimmer, welches gleichzeitig der Aufenthaltsraum ist. Das Hostel ist eher eine große und altmodisch eingerichtete Wohnung mit mehreren Schlafzimmern. Die Angestellten nutzen die Räumlichkeiten während ihrer Arbeitszeit so, als ob sie dort wohnen würden, gehen ihren Hobbys nach, sehen fern oder schlafen.
An den ersten beiden Tagen nach unserer Ankunft bleiben wir hauptsächlich im Hostel. Im Wohnzimmer finden wir verschiedene Bildbände mit faszinierenden Fotos aus der Region. Das macht uns Lust auf weiteres Reisen in Transbaikalien! Insbesondere der Nationalpark Alchanai an der Grenze zur Mongolei hat es uns angetan. Das mag daran liegen, dass ein anderer Gast dorther kommt und uns von der Natur zwischen Steppe und Taiga und von den großartigen Menschen, die dort leben, vorschwärmt. Außerdem nutzen wir die Zeit im Hostel, um unseren Ausflug nach Bagdarin zu planen. Dies ist nicht ganz so einfach, weil die Gegend touristisch nicht erschlossen ist. Die üblichen Seiten im Internet helfen uns kein bisschen. Es lassen sich weder Transportmöglichkeiten, noch Unterkünfte finden. Schließlich hilft uns ein anderer Gast, der aus der Nähe von Tschita kommt und zum Arbeiten hier ist. Wir sind gerührt von seiner Hilfsbereitschaft und freuen uns sehr! Er sucht mit uns auf russischen Internetseiten, übersetzt diese, versucht zigmal irgendwo anzurufen, ohne Erfolg und verhandelt mit möglichen Fahrern Transportmöglichkeiten und -preise. Und all dies, obwohl er überhaupt nicht verstehen kann, warum wir dorthin möchten. Am Ende ergibt es sich, dass Ivan uns nach Bagdarin bringen wird und irgendeine Unterkunft wurde auch für uns gebucht. Wahnsinn, diese Hilfsbereitschaft!
Zwischendurch laufen wir durch die Straßen der Innenstadt, über die zentrale Leninstraße mit dem großen Lenin-Platz. Auffällig ist auch hier, dass noch immer die Weihnachts- bzw. Neujahrsbeleuchtung überall verteilt ist, obwohl der Februar mittlerweile schon fast vorbei ist. Zudem befinden sich auf dem Platz noch ein kleiner Weihnachts-/Wintermarkt mit Holzbuden und Matrjoschka-Figuren am Eingang, eine Jurte und eine Schlittschuhbahn neben einem üppig beleuchteten Brunnen. Die jugendlichen Skater, die auf dem Platz herumfahren, lassen sich von den winterlichen Temperaturen nicht abschrecken.
Sowohl am Rande des Leninplatzes als auch auf der Leninstraße fallen uns die militärischen Gebäude ins Auge. Es sind Skulpturen mit Waffen zu sehen und es stehen auch Panzer vor einem der Gebäude. Ein Anblick, der uns nicht gefällt, aber uns auch nicht überrascht, da Tschita Hauptsitz der Militärverwaltung Sibiriens ist. Weit besser gefallen uns die schönen Holzhäuser, die wir an der Leninstraße entdecken. Etwas später finden wir einige Hipster-Cafés, die auch überall sonst auf der Welt sein könnten, die wir aber nicht unbedingt in Tschita erwartet hätten. In der Dämmerung gehen wir zurück zum Hostel und sehen uns noch die Kazaner Kathedrale an, die größte Kathedrale in Sibirien und Fernost.
Die Sonne tut uns gut und wir freuen uns über die frische Luft. Diese gibt es in Tschita leider nur am Tag, kurz nach Einbruch der Dunkelheit breitet sich eine Rußschicht aus und lässt das Atmen schwieriger werden. Das ist noch einmal auffälliger als in Irkutsk. Deshalb laufen wir nach dem Sonnenuntergang schnell ins Hostel. Wir wollen uns gar nicht erst vorstellen, wie das bei Temperaturen von -30 bis -40 Grad sein soll. Da haben wir noch Glück mit unseren -15 bis -20 Grad in der Nacht. Erwähnen wollen wir noch unseren Versuch, in Sibirien ein bisschen Vitamin C zu bekommen… Sagen wir es so: Die Orangen, die wir im Supermarkt gekauft haben, waren saurer als die Zitronen in Mexiko *grins. Naja, vielleicht auch selbst schuld, wenn man im Winter in Sibirien Obst kauft.
Am nächsten Morgen starten wir sehr früh nach Bagdarin. Der Ausflug ist rundum nach unserem Geschmack und wir sind total begeistert!
Als wir von Bagdarin zurück kommen, bemerken wir, dass es Frühling wird! Warum? – Es fängt an zu schneien! Ja, so ist das in Sibirien. Schnee gibt es zu Beginn des Winters, im Oktober und Anfang November. Dann verziert er, weiß glitzernd die Landschaften und bleibt bis etwa März liegen. Ab Dezember wird dieser Schnee aber sehr kompakt und hart und verfärbt sich immer mehr. Er erscheint dann grau, braun oder schwarz und ist kaum mehr als Schnee zu erkennen. Der erste Schnee fällt erst wieder, wenn die Temperaturen steigen und sich in Richtung des Gefrierpunktes bewegen. Dies kann sich zwar bis Ende April hinziehen, aber für die Einwohner Sibiriens ist das das Signal, dass der harte Winter überstanden ist und es wieder wärmer wird.
So kommen wir im leichten Schnee, aber bei Sonne nach Tschita zurück.
Am nächsten Tag möchten wir Tschita weiter erkunden. Zuerst gehen wir zum Dekabristenmuseum, welches in der ältesten Holzkirche Sibiriens aus dem 18. Jahrhundert, der Erzengel-Michael-Kirche, beherbergt ist.
An dieser Stelle ein kleiner historischer Einschub: Viele Städte Sibiriens, so auch z.B. Irkutsk, wurden mehr oder weniger stark von den sogenannten Dekabristen beeinflusst. Die Dekabristen (abgeleitet vom russischen Wort für Dezember) waren, zum größten Teil, adlige Aufständige gegen das Zarentum in Russland, das zu dieser Zeit in St. Petersburg seine Hauptstadt besaß. U.a. beeinflusst von den Ideen der französischen Revolution probte diese Gruppe den Aufstand in St. Petersburg. Durch einen Verrat konnte der Zar den Aufstand jedoch umgehend niederschlagen. Einige wenige Aufständige wurden in der Folge hingerichtet, die meisten anderen Aufständigen wurden ins ferne Sibirien verbannt, wo sie zunächst zu harter Arbeit gezwungen wurden. Trotz Verbotes folgten auch einige Ehefrauen den Verbannten und so konnten sie ihr gemeinsames Leben in Sibirien fortsetzen. Später konnten sie auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und übten schnell Einfluss auf die unterschiedlichsten Ebenen aus, sei es in der Stadtentwicklung, wie z.B. in Tschita mit der schachbrettartigen Anordnung der Straßen, oder in der kulturellen Entwicklung. Die Dekabristen sind in Sibirien weiterhin sehr anerkannt und viele Städte haben eigene Museen für sie errichtet.
Auf dem Weg zum Museum kommen wir wieder an unzähligen alten Holzhäusern mit ihren verzierten Fenstern vorbei. Wir erinnern uns an Irkutsk und freuen uns. Irittiert sind wir dagegen von einem Kinderspielplatz in einem ruhigen Hinterhof, der mit einem riesigen Spielzeug-Panzer ausgestattet ist. OK, da können wir jetzt so gar nichts mit anfangen…
Am Dekabristenmuseum angekommen, werden wir von zwei Damen freundlich begrüßt. Wir sehen uns die Ausstellung interessiert an, wobei ansehen auch das richtige Wort ist. Lesen können wir leider kaum etwas, da alles nur auf russisch beschrieben ist. Aber auch durch das Betrachten der Bilder und Zeitdokumente, durch die Historie der Örtlichkeit in der alten Holzkirche und durch die positive und motivierte Art der Beschreibung von Informationen, die uns die Museumsmitarbeiterinnen immer wieder geben, erhalten wir einen guten Überblick über die Dekabristen und ihre Bedeutung für Russland und besonders für Sibirien.
Anschließend möchten wir noch einen gänzlich anderen, kulturell ebenfalls sehr interessanten Ort in Tschita besuchen, nämlich das buddhistische Kloster mit dem buddhistischen Tempel. Dies wurde erst 2010 eröffnet und ist das größte buddhistische Kloster der russischen Burjaten. Da es ganz im Norden der Stadt auf einer Anhöhe liegt und wir uns ganz im Osten befinden, bedeutet dies einen längeren Spaziergang, bei dem wir einiges von der Stadt sehen.
Als wir aus der Kirche rauskommen, erblicken wir zwei Kinder mit einer großen Blechkanne, die offenbar die Aufgabe haben, damit Wasser zu holen. Wie schon in unserem Bericht über Irkutsk beschrieben, leben die Menschen in den Holzhäusern ohne Anbindung an die Wasserversorgung und Kanalisation – für uns heutzutage kaum vorstellbar. Diese Erkenntnis stimmt uns nachdenklich und macht uns wieder einmal mehr bewusst, wie gut wir es doch haben. Zum Glück scheinen die Kinder von derartigen Gedanken frei zu sein. Sie spielen freudig mit der Kanne auf den zugefrorenen Straßen, versuchen einander zu fangen und rufen sich gegenseitig hinterher. Es wirkt sehr freudig und leicht. Eine seltsame Situation; freudig und etwas traurig zugleich…
Auf unserem Weg kommen wir relativ schnell an einer Moschee vorbei und erkennen daran, dass also auch der muslimische Glaube hier verbreitet ist. Zudem sehen wir weitere Holzhäuser, die aus unserer Sicht fast noch häufiger als in Irkutsk zu sehen sind. Aufgrund der touristisch günstigen Lage in der Nähe des Baikalsees ist Irkutsk und damit auch die dortige Holzhausarchitektur zwar bekannter, für uns ist sie in Tschita aber mindestens genauso schön. Hier scheinen die meist kleineren Häuser aus Holz jedoch vor einigen Jahrzehnten von den immer gleich aussehenden Wohnblöcken verdrängt worden zu sein. Gerade am Stadtrand hat es manchmal den Anschein, als ob die kleinen Häuschen von den riesigen Plattenbauten geradezu erdrückt werden.
Da der Weg doch recht lang und zudem sehr steil ist, machen wir zwischendurch eine Pause in einer kleinen Bäckerei neben dem Dekabristenplatz.
Auf dem weiteren Weg am Stadtrand entlang sehen wir viele Holzhäuser, viele Plattenbauten und erklimmen so langsam den höchsten Punkt von Tschita. Es ist sehr interessant die vielen Alltagssituationen in den Wohnvierteln zu beobachten. Auch hier erblicken wir immer wieder Leute, die sich an Hydranten Wasser in Blechkannen füllen. Die Autos sind da schon besser dran: Oben auf dem Berg gibt es eine Autodusche *grins
Dann sind wir endlich am buddhistischen Tempel (in Sibirien auch Dazan genannt) angelangt und sind begeistert, sowohl von der Architektur als auch von der Atmosphäre, die sehr ruhig und friedlich ist. Um den zentralen und imposanten Tempel ist ein Weg mit einigen Gebetsmühlen und kleinen Stupas angelegt. Diesen Weg gehen wir im Uhrzeigersinn und in innerer Ruhe. Wir drehen (ebenfalls im Uhrzeigersinn) an den Gebetsmühlen, verbunden mit guten Wünschen für alle Wesen dieser Erde. Wir sind froh, dass uns Dmitry in Bagdarin mit diesen Zeremonien vertraut gemacht hat. Das Tempelgelände ist ziemlich groß und wir finden noch weitere Gebäude, Jurten, die hübsch verzierte Tempelglocke und einen großen Räucherofen hinter dem Eingangstor. Zudem befindet sich auf dem Gelände auch ein kleines Restaurant, wo wir uns mit Tee und mit Kartoffelbrei-Brötchen stärken.
Anschließend machen wir uns auf den Rückweg zum Hostel und laufen im Zickzack durch die Stadt. Insbesondere auf der hügeligen Strecke sind die Bürgersteige teilweise wieder sehr vereist. Ansonsten ist es bereits ruhig in der Stadt, nur die Straßenhunde und -katzen sind noch unterwegs. Anscheinend haben sich diese die Strßen untereinander aufgeteilt, denn zusammen sehen wir sie nie.
Unser Zug nach Wladiwostok fährt erst gegen zwei Uhr morgens los und wir haben natürlich kein Zimmer mehr für diese kurze Nacht gebucht. So brauchen wir noch einen warmen Platz zum Warten. Bis 23 Uhr können wir noch in unserem Hostel bleiben, danach beziehen die Mitarbeiter im Wohnzimmer ihr Nachtlager. Wir gehen dann ins Café im gleichen Gebäude und bestellen 1l Baikal-Kräter-Tee und etwas zu essen. Als meine frittierte weiße Schokolade mit Kondensmilch serviert wird (ja, ihr habt richtig gelesen!), erschrecke ich mich über die 150g Riesenportion Fett *grins. Den Tee trinke ich auch noch zu einem Großteil und bin dann „gut gestärkt“ für den Weg zum Bahnhof und die Fahrt… Naja, etwas zu voll trifft es wohl eher.
Vom Café gehen wir noch einmal zum Leninplatz, um uns diesen auch einmal beleuchtet anzusehen. Außerdem hoffen wir, dort etwas von der burjatischen Neujahrsfeier mitzubekommen. Aber leider sind wir fast die einzigen, die unterwegs sind und alles ist ruhig. So staunen wir alleine über die aufwändige Brunnenbeleuchtung mit der umgebenden Eislaufbahn. Schön beleuchtet sind auch die Jahreszahl 2020, die Matrjoschken und diverse andere weihnachtliche Motive. Nur Lenin wird interessanterweise ausgelassen. Vollbepackt mit unseren Rucksäcken gehen wir zum Bahnhof und warten dort die letzte Stunde auf unseren Zug. Wir freuen uns wieder auf die Transsibirische Eisenbahn und auf unser letztes Ziel in Russland, Wladiwostok.
Die Zeit in Tschita hat uns sehr gut gefallen. Da es noch viele weitere Ausflugsmöglichkeiten in der Nähe gibt, können wir Tschita auf jeden Fall für einen Stopp mit der Transsibirischen Eisenbahn empfehlen. Wir fahren weiter mit der Transsib nach Wladiwostok.
Wie findet ihr die kleine Stadt Tschita? Viele Grüße Thomas
Sehr interessanter Bericht 👍
Ich habe mich auch über sie Bilder gefreut: ich war in der Stadt stationiert – es war sehr schön die Bilder zu sehen. Die Holzhäuser habt ihr tief von unten fotografiert, damit sie wenigstens ein bisschen grösser wirken, als sie wirklich sind, was? 😂
Grundsätzlich (nicht nur dieser Bericht): sehr gut beschrieben und interessant zu lesen. 👍👍👍
Herzlich willkommen auf unserem Blog und vielen Dank für das tolle Feedback!
Da hast du sicherlich ganz eigene Erfahrungen in Tschita gemacht…? Wir haben uns sehr wohl gefühlt und uns über die freundlichen Begegnungen mit den Menschen vor Ort gefreut.
Die Holzhäuser wirken größer? Mmmh, keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht ist unsere Kamerafrau so klein 😉
Alles Gute für dich, Thomas und Jenny
Die weiße Schokolade klingt nicht wirklich lecker. 😀
Ansonsten ist es aber immer wieder interessant zu lesen, was ihr erlebt habt. Spannend, wie viel Hilfsbereitschaft und Offenheit euch immer wieder begegnet!
Danke für deinen Kommentar. Russland war wirklich interessant und ist auf jeden Fall eine Reise wert! Trotz unserer mangelnden Russischkenntnisse sind wir ganz gut mit den Einheimischen in Kontakt gekommen. Das ist es am Ende auch, was für uns eine Reise ausmacht! Viele Grüße